Unser Wohnhaus - Jahresarbeit 1956 von Peter Müller

Unser Wohnhaus liegt nur wenige Meter vom Westufer des Einfelder Sees entfernt. Vor hundertfünfzig Jahren zählte es noch zur Mitte Einfelds, doch heute gehört es infolge der großen Ausdehnung Einfelds zum nordwestlichen Teil des Dorfes. Es steht auf einer schmalen Landzunge zwischen dem See und den angrenzenden Moorwiesen. Vor dem Haus steht eine vom Wind gezeichnete Tanne, und an den vorderen Hausecken befinden sich zwei Holunderbäume, die nicht mehr aus dem Gesamtbild des Hauses wegzudenken sind. Unser Wohnhaus wurde im Jahr 1777 gebaut. Der Balken an der Vorderfront des Hauses weist noch mit seiner Inschrift - Durch Gottes Macht soweit gebraucht - Hinrich Schüman und Catarina Schümans - 9. Maius 1777 - darauf hin.

Hinrich Schüman war einer kleiner Bauer, wie die Größe des Hauses beweist; denn früher gab es für die Haustiere keine extra Ställe, sondern der Bauer wohnte mit den Tieren unter einem Dach. Im Jahr 1872 kaufte ein reicher Fremder den Hof auf und ließ fünfzig Meter vom Bauernhaus entfernt das Herrenhaus des Einfelder Hofs bauen. Zu diesem gehörten damals mehr als vierhundert Tonnen Ländereien mit mehreren Wirtschaftsgebäuden.

Unser Wohnhaus war also der Stammsitz des Einfelder Hofs. Zum Einfelder Hof gehörten außer unserem Wohnhaus und dem Herrenhaus noch das Gebäude des Bauern Gustav Fass, das damals als Pferdestall im hinteren und als Wohnung für den Verwalter und die Knechte im vorderen Gebäudeteil diente. Das Wirtschaftsgebäude des Bauern Otto Wulf war die Meierei des Einfelder Hofs, in der sicherlich auch die Milch der Einfelder Bauern verarbeitet wurde. Weiter gehörte noch das heutige Wohnhaus des Gärtners Rahm dazu, das damals das Vorwerk des Hofes war. Um die Jahrhundertwende wurde der Einfelder Hof aufgeteilt und verkauft.

Einer der ältesten Einwohner Einfelds, der 94jährige Johann Steen, weiß noch lebhaft von der Zeit zu erzählen, als 1872 das Herrenhaus erbaut und die Parkanlagen geschaffen wurden. Er diente zwei Jahre lang als Großknecht auf dem Einfelder Hof und bekam jährlich fünfundachtzig Taler an Lohn. Das war nach seiner Meinung damals eine Menge Geld für einen Großknecht. Aber dafür mußte er auch tüchtig zupacken, wenn man bedenkt, daß er jeden Morgen für vierzehn Arbeits- und zwei Kutschpferde achtzig Garben Hafer schneiden mußte.

Unser Wohnhaus, das Herrenhaus mit den Parkanlagen und die umliegenden Wiesen wurden im Jahr 1925 von meiner Mutter erworben. Bis 1936 diente unser jetziger Wohnhaus als Stallung für das Vieh und als Wohnung für den Knecht. Dann wurde es von dem Wasbeker Maurermeister Albert Stör umgebaut. Bei den Umbauarbeiten fand er einige vergilbte Schriftstücke, die unter einem Hausbalken lagerten. Sie vermitteln einen Einblick in die Zeit kurz nach 1800. Damals war der Besitzer des Hauses Bauernvogt der Dorfschaft Einfeld, die zu jener Zeit der Hausvogtei in Bordesholm verwaltungsmäßig unterstellt war, wie aus mehreren Anordnungen ersichtlich ist.

In einem Schreiben der Hausvogtei an den Bauernvogt Marius Schüman vom 12. September 1806 heißt es: "Da auf höhere Veranlassung eine Pulver-Bude, zur Vermeidung der bey etwa entstehenden Feuer-Brunst zu befürchtenden Gefahr, wegen des in der Kirche zu Bordesholm aufgewahrten beträchtlichen Pulver-Vorraths, erbaut werden soll, so sind zu diesem Behuf von der Dorfgemeinschaft Einfeld, am nächsten Montag Morgen 9 Uhr, bey der Wache in Bordesholm, gegen eine näher zu bestimmende Vergütung zu liefern: 17 Schooft, bey jedem Schooft 1 Schacht und zwei Wehden. Jeder Schooft muß 12 Pfund wiegen."

Ein Schreiben derselben Behörde vom 13. Juni 1807 hat folgenden Wortlaut: "Aus dem Dorfe Einfeldt haben sich morgen früh prompte 7 Uhr zwey Arbeitsleute jeder mit einem Äscher und einer Schaufel versehen auf dem Hofplatz des Herrn Amtsschreibers einzufinden, um die nötigen Handdienste zu leisten."

Recht zeitnah mutet eine weitere Anordnung vom 30. Dezember 1807 an: "Die Dorfschaft Einfeldt hat den Hafer und den Rocken nach der ihr von der Hausvogtey zugestellten Berechnung den 6. Januar kunftigen Mittwoch Morgen 8 Uhr unter Begleitung des Amtsvorstehers, an den Herrn Justizrath und Amtsschreiber Casperßen zu Kiel, abzuliefern bey Strafe doppelter Lieferung." Weniger amtlichen Charakter hat folgende Notiz, die weder Datum noch Unterschrift trägt, aber sicherlich aus derselben Zeit stammt. "Der Hausvogt Netzel, ersucht die Einfelder, um einige Federn, zum Braut-Bett für seine Pflege-Tochter." Man kann annehmen, daß die Einfelder sich dieser Bitte nicht verschlossen haben.

Unter den aufgefundenen Papieren befinden sich auch Briefe des Musketiers Hans Schüman "bey der 6te Compernie des Holsteinischen Infanterie Riegement" in Rendsburg vom Dezember 1819 und Februar 1820. Beide Briefe waren "abzugeben bey den Gastwirth Jacob Brey in Neumünster." An seinen Onkel, den Bauern Claus Wulf in Bäumbell, schreibt er: " ... es ist jetzt so kalt auf den Posten zu stehen. Übrigens wünsche ich ihnen alle insgesamt einen fröhlichen Weihnachten das sie sich die Festtage über recht lustig halten bey ihren Mehlbeutel.

Ich wollte wünschen ich könnte mit da bey sein, welches aber diesen augenblick nicht so werden kann ich will aber hoffen, wenn erst zwey in Rendsburg gefeiert habe das heißt zwey Weihnachten den dritten denke mit Gottes hilfe zu Hause zu seyn, dann wollen wir aber erst recht vergnügt leben ... wo ich ihnen aber um bitten will seyn sie so gut und sagen zu meinem Bruder Marius Schüman das er zu unserem Bruder Heinrich sagt er möchte nicht vergessen das er mich zu Weihnachten besuchen tut, auch möcht er nicht vergeßen das Leinewand zu die Hose wovon sie schon bescheid wissen ..."

An seinen Freund Johann Loop in Bönebuttel schreibt er unter anderem: " Ich habe schon lange gedroohet einen Brief an ihnen zu schreiben ... man kann hier nicht immer so wie man denkt ... ich bin diesmahl noch so glücklich gewesen das ich nicht (wenig) mot auf die Fechtschule gekommen bin, das freut mich nicht wenig den es ist mich zuweilen noch zu kalt ... ich bitte sie mögen so gut seyn und überreichen meine Eltern diesen Brief ... und meine Schwester mag doch nocht vergeßen was sie mir versprochen hat ..." So erhellen diese Dokumente, die schon von Mäusen angenagt sind, ein Stück Familien- und Dorfgeschichte, ein Hauch der Vergangenheit streift uns.

Unser Wohnhaus ist ein typisches Niedersachsenhaus, denn die Raumaufteilung und die Balkenverzierungen lassen seinen Charakter erkennen. Das Eichenholz, das für die Dachkonstruktion und das Fachwerk verwendet wurde, hat an Haltbarkeit und Härte noch nichts eingebüßt, obwohl es an manchen Stellen schon stark verwittert ist. Auch die Steine verschiedener Fachwerke lassen ein hohes Alter erkennen. Einige Fachwerke mußten im Sommer neu aufgemauert werden, da die Spatzen in die verwitterten Steine große Löcher hineingefressen hatten. In einer Höhe von 1,80 Metern beginnt das Dach, das seit 1777 schon einige Male neu gedeckt worden ist. Lediglich die Dachfläche der hinteren Giebelwand des Hauses stammt noch aus dem 18. Jahrhundert und ist an der Innenseite von Rauch gebräunt.

Vor dem Umbau im Jahre 1936 besaß das Haus nämlich keinen Schornstein, sondern der Rauch zog bis unters Dach und konnte dann durch eine Öffnung im Dachfirst entweichen. Die Dachfläche ist, wie es früher üblich war, mit Stroh gedeckt und mit Weidenruten an den Dachlatten befestigt worden. Seit ungefähr fünfzig Jahren verwendet man nicht mehr Stroh zum Dachdecken, sondern man nimmt dazu Reet, das am Einfelder Seeufer reichlich vorhanden ist. Die beiden anderen Dachflächen sind mit Reet gedeckt und mit verzinktem Draht an den Dachlatten befestigt, da sie erst nach 1920 neu gedeckt worden sind. Die vordere Giebelwand besteht aus zwei Zoll starken Eichenbrettern, die infolge des Dachschutzes noch keine morschen Stellen aufweisen.

Der einzige Schornstein in der Mitte des Hauses reicht für die heutigen Wohnverhältnisse nicht aus. Es sollten 1936 eigentlich zwei Schornsteine gebaut werden, aber dieses Bauvorhaben wurde von der Baubehörde verboten. Nach ihrer Meinung wäre der Charakter des Hauses dann nicht gewahrt geblieben.

Ebenso mußten die Fenster, die während des Umbaues neu hinzukamen, zu den alten Originalfenstern und zum Gesamtbild des Hauses passen. So besteht z.B. das große Fenster, das für die alte Dielentür die Vorderfront des Hauses verschönert, aus sechsundfünfzig einzelnen Scheiben, von denen jede ihren eigenen Holzrahmen hat. Natürlich nimmt das Putzen eines solchen Fensters viel Zeit in Anspruch.

Wenn man als Fremder das Haus aus einiger Entfernung betrachtet, denkt man unwillkürlich an eine alte Bauernkate mit dunklen, niedrigen Räumen. Wenn man aber das Innere des Hauses betritt, so ist man doch erstaunt, daß das Gebäude so geräumig und hell ist. Die frühere Diele ist nämlich zu zwei großen Wohnzimmern umgebaut worden, und die übrigen Räume des Hauses wirken durch ihre hellen Tapeten und weißgetünchten Decken freundlich und groß. Der äußere Anblick läßt einen Außenstehenden die Geräumigkeit des Hauses nicht vermuten.

Obwohl unsere Familie schon oft die Gelegenheit gehabt hat, ins Herrenhaus umzuziehen, sind wir doch lieber in unserem alten Haus geblieben. Hier brauchen wir keine Treppen steigen und keine übergroßen Zimmer heizen. Und der größte Vorteil dieses alten Hauses ist die uneingeschränkte Ruhe, die nur ein Einfamilienhaus bietet. Wir hoffen, daß unser Wohnhaus noch lange für uns ein gemütliches Heim bleiben.

Hinweise:
 (1.) Die Jahresarbeit wurde mit "Gut" von den Lehrern bewertet und ist wie folgt unterschrieben "Diese Arbeit wurde von mir ohne fremde Hilfe angefertigt. - Einfeld, den 24.1.1956 - Peter Müller" (2.) Die Rechtschreibung der damaligen Zeit wurde nicht der jetzigen angepasst (3.) Das Titelbild sowie die unteren Fotos stammen aus dem Jahr 2011.