Zeitungsartikel Sommer 1912

Wenn man durch die Zeitungsarchive schaut, fällt das Jahr 1912 besonders auf. Innnerhalb von wenigen Wochen ertranken 13 Personen im Einfelder See. Das erste Unglück, bei dem vier Personen bei einem Bootsunglück ums Leben kamen, ereignete sich am 23. Juni. Das weit größere Bootsunglück auf dem Einfelder See geschah fünf Wochen später. Neun Personen ertranken, drei wurden gerettet. Die tragische Geschichte wurde dem Holsteinischen Courier entnommen. Die Zeitungen mit den betreffenden Artikeln sind in der Landesbibliothek in Kiel verfügbar. Das am Anfang genannte Datum bezieht sich auf den Artikel, nicht auf die Ausgabe der Zeitung. Die damalige Rechtschreibung wurde beibehalten.

Neumünster, 31. Juli. Ein Unglücksfall so schwer, wie es seit Menschendenken in Neumünster und Umgebung mit einer einzigen Ausnahme - dem Ahlbek´schen Fabrikbrand - nicht vorgekommen ist, ereignete sich am Dienstag nachmittag auf dem Einfelder See. Wir erhielten prompt Kenntnis von der Katastrophe und waren infolgedessen in der Lage, sofort durch Aushang und Extra-Ausgabe Nachricht zu geben. Über das beklagenswerte Ereignis, das über drei hiesige und auswärtige Familien großes Herzeleid brachte, können wir folgende authentische Mitteilungen machen:
Der an der Kieler Chaussee wohnhafte Schneidermeister Hasenbank vereinbarte mit seiner eigenen und mehreren befreundeten Familien, am gestrigen Tage einen Ausflug nach Einfeld zu unternehmen. Dort angekommen, setzte sich Herr Hasenbank wegen Überlassung eines Segelbootes mit dem Bootsbauer Herrn Mündlein in Verbindung. Das gewünschte Boot wurde flott gemacht und von zwölf Personen bestiegen. Es waren dies: Schneidermeister Hasenbank, dessen 10jähriger Sohn Heinrich, sein 12jähriger Sohn Willi, die 17jährige Tochter Anna, Baptistenprediger Wilhelm Claaßen, dessen 10jährige Tochter Mathilde, die 12jährige Tochter Gertrud, Rentier Gevecke, dessen 13jähriger Sohn Paul, die 15jährige Tochter Elsa, die 21jährige Tochter Emilie und ferner die 19jährige Tochter Magda des Revisors des Schleswig-Holsteinischen Sparkassenverbandes, Herrn Bruer. Die Familie Claaßen hatte ihren Wohnsitz in Kiel und war besuchsweise anwesend, alle übrigen stammten aus Neumünster und Umgebung.
Kurz nach 3 Uhr fuhr das Boot in See. Dieser lag friedlich da, es herrschte fast Windstille, niemand dachte daher an Gefahr, weder die hunderte von Badegästen, die sich in den Badeanstalten tummelten oder den Strand belebten und noch viel weniger die Erwachsenen und Kinder, die an der Bootsfahrt teilnahmen. Die Ausflügler hatten nach ihrer Schätzung das Boot etwa zwei Stunden benutzt, da zeigten sich plötzlich am Firmament schnell dahinhuschende Wölkchen, graue und pechschwarze. Sie wurden von den Insassen des Segelbootes bemerkt und man entschloß sich, ohne Verzug die Heimfahrt anzutreten. In dem Augenblick, als man sich hierzu anschickte, setzte plötzlich ein kurzer, dafür umso heftiger Gewittersturm ein, den die Besucher des Strandes kaum bemerkten. Von den Bootsinsassen waren keine des Segelns kundig, ebensowenig waren Schwimmer darunter. Kaum hatte der Gewittersturm eingesetzt, da schlug bereits das Boot um. Ein einziger markdurchdringender Schrei gellte aus einem dutzend Kehlen, gleich darauf war alles wieder still.
In einer Entfernung von etwa 100 Metern segelte ein zweites Boot. Dieses wurde tadellos bedient von Herrn Pharmazeut Herrmann (tätig in der hiesigen Flora-Apotheke) und dem Primaner Hahnkamp, Sohn des Lehrers Hahnkamp hier. Diese hatten selbst mit ihrem Boot zu kämpfen, als sie jedoch die Hilferufe hörten,. fuhren sie so schnell wie möglich nach dem gekenterten Boot und hatten dieses wenige Minuten später erreicht. An dem umgeschlagenen Boote klammerten sich Schneidermeister Hasenbank, dessen Sohn Heinrich und Fräulein Magda Bruer fest. Unter Aufbietung aller ihnen zur Verfügung stehenden Kräfte gelang den Helfern in höchster Not das Rettungswerk, die drei vorgenannten Personen wurden eine nach der anderen übernommen. Von den weiteren Personen, die sich in dem verunglückten Segelboot befunden hatten, war nichts mehr zu sehen, wohl aber schwammen lose mitgeführte Kleidungsstücke, Schirme, Hüte und Mützen auf der Oberfläche des Wassers. Nachdem sich Herr Herrmann mit seinem Begleiter vergewissert hatte, daß Niemand mehr zu retten war, fuhren sie mit den Verunglückten nach der Badeanstalt zurück. Von den wenigen Personen, die vom Ufer aus das Kentern des Bootes und den Verlauf des Unglücksfalles beobachtet hatten wurde das Ereignis sofort bekanntgegeben. Lähmendes Entsetzen bemächtigte sich Aller. Zu ihnen zählten die Frauen Hasenbank, Claaßen und Bruer, die ebenfalls die Vorgänge auf dem See nicht beobachtet hatten und erst jetzt von der Katastrophe hörten. Es waren ertrunken: 
(1.) der 12jährige Willi Hasenbank, (2.) die 17jährige Anna Hasenbank, (3.) der Baptistenprediger Claaßen, (4.) die 10jährige Mathilde Claaßen, (5.) die 12jährige Gertrud Claaßen, (6.) der Rentier Gevecke, (7.) der 13jährige Paul Gevecke, (8.) die 15jährige Elsa Gevecke, (9.) die 21jährige Emile Gevecke.
Ereignet hat sich der betrübliche Unglücksfall etwa in Höhe der Einfelder Schanze. Die weite Entfernung von den Badeanstalten läßt es erklärlich erscheinen, daß nur so wenig Personen Zeugen der Katastrophe waren. Um die Vorgänge vom entfernten Ufer aus beobachten zu können, mußte man sich eines guten Glases bedienen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich gestern abend die Nachricht von dem Unglück durch die Stadt. Unser Aushang war ständig von einer großen Menge belagert und allgemein wurde der jähe Tod der neun blühenden Menschen aufrichtig beklagt. Manche Leute glaubten es sich nicht versagen zu können, an der Stätte des Unglücks persönlich zu erscheinen. Namentlich trafen dort viele Radfahrer ein. Wohl noch niemals ist die Kieler Chaussee so belebt gewesen, als am Dienstag. Die Leute, die aus Neugierde und Schaulust in Einfeld erschienen, kamen nicht auf ihre Kosten, denn zu sehen gabs dort absolut nicht mehr, schweigend bedeckte der See seine Opfer. Am gestrigen Abend dachte Niemand mehr daran, nach den Leichen zu suchen, doch wird das heute geschehen. Leute, die mit dem See vertraut sind, waren der Meinung, daß es nicht allzu schwer halten dürfte, die Ertrunkenen heute und in den nächsten Tagen aus dem Wasser herauszuholen, denn an der Stelle, wo sich die Katastrophe ereignete, soll der See verhältnismäßig nicht sehr tief sein. Hoch anzuerkennen ist das energische und zielbewußte Vorgehen des Herrn Pharmazeuten Herrmann und seines Begleiters, des Oberprimaners Hahnkamp. Wären diese trotz des Gewittersturmes nicht in wenigen Minuten zur Stelle gewesen, so dürften zweifelsohne auch die nun geretteten drei Personen ein Opfer des Einfelder Sees geworden sein.

Einfeld, 31. Juli. Bis in die späte Nacht hinein wurde hier am Dienstag versucht, die Leichen der bei dem Bootsunglück im See ertrunkenen neun Personen zu finden, leider erwiesen sich alle Bemühungen als ergebnislos. Der Badewärter des Herrn Badeanstaltsbesitzers Nagel weilte an der Unglücksstelle und tauchte dort wiederholt, um die Leichen aus dem See herauszuschaffen. Doch auch diese Bemühungen zeigten keinen Erfolg. Heute in der Frühe wurden von Angehörigen der Ertrunkenen, dem Personal des Badeanstaltsbesitzers Nagel und des Bootsbauers Mündlein erneut Bergungsversuche unternommen, doch auch diesmal ohne irgend welchen Erfolg, nicht eine einzige Leiche konnte dem Element entrissen werden. Heute nachmittag wird man erneut ans Werk gehen, hoffentlich mit mehr Erfolg.

Einfeld bei Neumünster, 31. Juli. Zu dem Bericht über das Bootsunglück in Ihrer Zeitung, teile ich Ihnen ergebenst mit, daß das Boot für zwölf Erwachsene Platz und Sicherheit bietet, und nur mit fünf Kindern und sieben Erwachsenen besetzt war. Betreffs des Rettungsbootes teile ich Ihnen mit, daß ein solches immer zur Stelle ist und auch in diesem Falle sofort abgefahren ist, und daß ich in den meisten Fällen nicht erst die Unfälle abwarte, sondern bei aufkommendem schlechten Wetter schon unterwegs bin, um darüber zu wachen. Im übrigen kann ich viele Zeugen bringen, die bestätigen können, daß ich die den Segelsport liebenden Leute nicht nur frage, ob diese segeln können, sondern sofern ich merke, daß es nicht besonders Kundige sind, wird jemand mitgeschickt, um sich davon zu überzeugen, dann erst bestimme ich, ob sie ein Segelboot erhalten oder nicht. Und wenn uns dennoch mal einer durchgeht, so wird er mit Gewalt zurückbefördert. Zurückkommend auf das Rettungsboot, kann ich noch mitteilen, daß dasselbe in den meisten Fällen zu spät kommt, weil schon lange vorher Boote, die gewöhnlich näher dabei sind, früher kommen. Mit einem Motorboot würde es nicht anders sein. Ich bemerke noch, daß meine Boote im gekenterten Zustand 6 bis 12 Personen zu halten vermögen, wenn die betreffenden Personen nur soviel Geistesgegenwart haben, sich daran zu halten. Denn daß nicht ab und zu mal ein Segelboot kentert, ist wohl kaum zu vermeiden. Die Verunglückten haben sich aber in allen, außer dem letzten Unglücksfall, daran gehalten. Außer den beiden letzten Unglücksfällen, die doch beide auf leichtsinnige Handlung zurückzuführen sind, habe ich in meinem Betrieb in fünf Jahren, die ich am Einfelder See bin, keinen Unglücksfall gehabt, was doch bei einem derartigen Betrieb sicher nicht auf eine leichtsinnige Handlungsweise meinerseits schließen läßt. Die in diesem Sommer stattgehabten Unglücksfälle wären meiner Meinung nach nur dadurch zu vermeiden gewesen, wenn die Betreffenden bei der Wahrheit geblieben und sich nicht für segelkundig ausgegeben hätten. Weiter wurde behauptet, es wäre nichts begonnen, um die Ertrunkenen heraus zu fischen. Hierauf kann ich mitteilen, daß Dienstag abend von mir und Herrn Nagel mit mehreren Booten, Netzen und Angelschnüren gefischt ist, und zwar bis 1/2 12 Uhr. Auch haben wir uns an der Rettung beteiligt, insbesondere Nagels ältester Sohn. Mit der Bitte, obige Zeilen veröffentlichen zu wollen, zeichnet ergebenst   K. Mündlein.

Einfeld, 1. August. Heute vormittag gelang es den Leuten, die mit der Bergung der Leichen beschäftigt sind, alle im Einfelder See ertrunkenen Personen aufzufinden. Die Verunglückten lagen im See dicht beieinander, an derselben Stelle, an der sie aus dem Boot herausgestürzt und ins Wasser gefallen waren. Ohne Verzug sollen die Leichen auf bereitgehaltenen Wagen nach Neumünster und Kiel geschafft werden.

Die Familie Hasenbank einige Jahre vor dem Unglück, das auf dem Einfelder See passierte und zwei Leben auslöschte. (Klick-Bild)

An diesem Bootssteg konnte man sich ein Segel- oder Ruderboot mieten. (Repro einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1912/13) (Klick-Bild)
 

 
Diese Traueranzeigen wurden von den Angehören im Holsteinischen Courier veröffentlicht.

An dem Steg von Bootsbauer K. Mündlein konnte man sich die Boote mieten. Links im Hintergrund ist das Strandhotel zu sehen. (Repro einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1912/13) (Klick-Bild)

Der Grabstein, der an einige der Ertrunkenen erinnern soll. Auffällig ist die unterschiedliche Schreibweise des Namens "Geveke" (Text und Anzeige).

Mit Sonderzügen strömten die Badegäste einst von Neumünster zum Einfelder See.
Foto: © Freudenhammer 1963 


Fast jedes Jahr waren und sind Opfer zu beklagen.  Das Bild aus dem Jahr 1969 zeigt die Bergung eines toten Anglers.
Foto: © Freudenhammer